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Der beste Job der Schweiz: Wächter der Munot-Festung in Schaffhausen

„Ich war in meinen zehn Jahren Dienst nur ein Mal für zehn Tage in New York – man möchte gar nicht gehen."

Fast jede Stadt hat ein Wahrzeichen, das sich nicht nur auf 0815-Postkarten zu 1A-Preisen an Touristen verkaufen, sondern auch einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Geschichte zurückblicken lässt. Berlin hat seine Mauer, Paris seinen Eiffelturm, Wien sein Schloss Schönbrunn—und Schaffhausen seinen Munot. Anders als bei der Mauer, dem Eiffelturm oder dem Schloss Schönbrunn wird mit dem Schaffhauser Wahrzeichen aber in erster Linie kein weltbewegendes Ereignis verbunden, sondern ein einzelner Mensch: der Munotwächter.

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Der Munot wurde im 16. Jahrhundert als militärische Festung erbaut. Trotz seiner langen Biografie diente er allerdings erst ein Mal seinem angedachten Zweck, als sich die französischen Truppen im Jahr 1799 vor den Österreichern zurückzogen. Seitdem ist der Munot das historische Wahrzeichen der Stadt und—nicht zuletzt wegen dem täglichen Läuten der Munotglocke—kaum aus dem Kopf jedes Bewohners wegzudenken. Also auch aus meinem.

Jeden Tag um genau 21:00 Uhr höre ich die Glocke, die vom Wächter geläutet wird. Gemeinsam mit seiner Frau wohnt er im Turm der riesigen Festung und sorgt dafür, dass die Hirsche gefüttert werden, die im Graben am Fuss des Turms leben, Touristen durch den Munot geführt werden und die Festung instandgehalten wird. Der aktuelle Munotwächter heisst Christian Beck und lebt seit zehn Jahren in der Festung. Ich habe mich mit ihm getroffen, um mehr darüber zu erfahren, wie es sich anfühlt, den besten Job der Schweiz zu haben.

VICE: Seit 2006 bist du Munotwächter. Wie bist du zu diesem Job gekommen?
Christian Beck: Ich bin ursprünglich in Schaffhausen geboren. Als ich sieben war, zogen meine Eltern nach Meilen an den Zürichsee und ich verlor den Bezug zu meiner Heimatstadt ein wenig. Nach meiner Jugend wanderte ich nach Mexiko aus. Dort verbrachte ich 15 Jahre, von denen ich 13 in der mexikanischen Karibik zu Hause war.

Christian vor seinem Zuhause | Alle Fotos von der Autorin

Als ich nach dem langen Reisen wieder nach Hause in die Schweiz kam, musste ich mir einen Job suchen. Ich hörte, dass sie in meiner Heimatstadt jemanden suchen, der ein bisschen das Glöckchen läutet und dachte: „Das wäre doch etwas für mich". Zum Glück gefiel diese Idee auch meiner Frau, sonst hätten wir den Job hier nicht bekommen. Da die Arbeit umfangreich ist, ist ein Partner eine der Voraussetzungen.

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Welche Voraussetzungen muss man sonst noch erfüllen, um Munotwächter zu werden?
Ich sage immer, man muss eine Art Multitalent sein. Man darf sich nicht zu fein fürs Putzen und Aufräumen sein. Auf der anderen Seite muss man auch verantwortungsbewusst sein und Dinge koordinieren und organisieren können. Ich finde es auch wichtig, dass man gerne mit Menschen kommuniziert. Das ist ein sehr sozialer Beruf, bei dem man mit vielen verschiedenen Menschen zu tun hat und da muss man natürlich immer freundlich bleiben.

Was sind denn die Hauptaufgaben eines Munotwächters?
Ich und meine Frau sind zu 41 Prozent bei der Stadt Schaffhausen als Abwärte angestellt. Dazu gehören jeden Tag diverse Reinigungsarbeiten und das Schliessen und Öffnen der Tore des Munots. Zu 21 Prozent sind wir zusätzlich bei „Grün Schaffhausen" angestellt. Dort sind wir für die Fütterung und Pflege der Hirsche im Munotgraben zuständig.
Beim Munotverein sind wir auch noch zu einem Stundenlohn angestellt. Die Aufgaben dort beinhalten die Mitarbeit bei allen Anlässen, wie zum Beispiel den Munotbällen und dem jährlichen Kinderfest. Dann ist da noch die Öffentlichkeitsarbeit. Wir bekommen viele Medienanfragen aus aller Welt. Das gehört auch zu diesem Job. Und natürlich muss jeden Abend um exakt 21:00 Uhr die Munotglocke für fünf Minuten geläutet werden.

Die Hirsche im Munotgraben

Gibt es auch Dinge, die dir an deinem Job nicht gefallen?
Ich finde nichts schlecht an ihm. Aber was ich am Anfang ein wenig schwierig fand, war das Läuten der Glocke. Das hatte ich wohl unterschätzt. Ich dachte, da muss man nur ein wenig ziehen und dann läuft die Sache. Aber es ist gar nicht so einfach, eine 420 Kilogramm schwere Glocke mit Hilfe eines dünnen, elastischen Lederriemens rhythmisch zum Läuten zu bringen. Nach dem ersten Abend habe ich mir gedacht, ich sollte noch ein wenig üben—bis mir klar wurde, dass üben nicht so gut klappt, wenn dir die ganze Stadt zuhören muss.

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Denkst du, dieser Job wäre auch für eine Frau geeignet?
Ja, natürlich. In der Vergangenheit gab es bereits einige Munotwächterinnen. Sie wurden zwar nicht direkt angestellt, aber nachdem der Mann verstarb, übernahmen sie einfach dessen Job. Eine der berühmtesten Munotwächterinnen war Frau Siegerist. Sie hatte 15 Kinder. Bezeichnenderweise blieb keines ihrer Kinder in der Schweiz. Im 19. Jahrhundert war die Lage eben noch ein wenig anders. Da wollten alle aus der Schweiz raus und nicht rein.

Wie sieht es mit Ferien aus? Musst du da jemanden suchen, der für dich einspringt?
Wir dürfen nur im Winter in die Ferien. Im Sommer boomt der Tourismus und da müssen wir natürlich vor Ort sein. Falls wir mal verreisen möchten, gibt es einen Ersatzmunotwächter, der meine Aufgaben übernimmt. Aber der Munot ist wie ein Magnet. Ich war in meinen zehn Jahren Dienst nur ein Mal für zehn Tage in New York. Irgendwie war immer etwas los und zudem möchte man auch gar nicht gehen.

Du hast gesagt, dass du die Wohnung erst sehen durftest, nachdem du den Vertrag unterschrieben hattest. Wieso wird so ein grosses Geheimnis um die Wohnung gemacht?
Die Geheimnistuerei hat zwei Gründe. Auf der einen Seite macht das den Munot noch ein wenig interessanter und geheimnisvoller. Auf der anderen Seite ist es wegen der Privatsphäre. Es ist nicht einfach, an einem solch öffentlichen Ort zu wohnen. Vor allem nicht, wenn man so gastfreundlich aufgewachsen ist wie ich. Wenn man aber pro Tag drei Anfragen für eine Wohnungsbesichtigung bekommt, muss man irgendwo Grenzen setzen.

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Dürft ihr überhaupt Besuch haben?
Ja, das schon. Aber es ist trotzdem schwierig. Die besten Freunde lässt man rein, aber was ist mit den zweitbesten? Die sind dann beleidig, wenn man sie nicht reinlässt. Irgendwann steht der Kindergartenfreund, den du vor 50 Jahren das letzte Mal gesehen hast, als Überraschung mit seiner 17-köpfigen Familie auf der Matte und möchte dich besuchen. Deswegen wird man allgemein zurückhaltender mit den Einladungen.

Wie unterscheidet sich deine Wohnung von anderen?
Wir haben alles, was eine 0815-Wohnung auch hat. Das Einzige, was man als rustikal bezeichnen könnte, ist unser Kachelofen. Die Wohnung hat keine Zentralheizung, das bedeutet ich muss zwei Mal im Jahr das Holz über die Fassade in die Wohnung hinaufziehen. Im Winter muss ich also jeden Tag aufstehen und zuerst ein Feuer machen, bevor es in der Wohnung warm wird.

Ganz oben im Turm liegt Christians Wohnung

Speziell ist auch die Anordnung der Zimmer. In der Mitte der achteckigen Wohnung befindet sich die ebenfalls achteckige Küche. Die fünf Zimmer sind wie Kuchenstücke rund um die Küche verteilt.

Fühlst du dich manchmal wie im Mittelalter?
Der Munot ist ja keine mittelalterliche Festung. Aber ja, ich fühle mich durchaus in der Zeit zurückversetzt. Vor allem wenn man ganz alleine hier drin ist und sich überlegt, wie hier schon Musketiere gelebt und gearbeitet haben. Ich mag es einfach abenteuerlich. Damals in Mexiko, gab ich Vorträge über alte Piratengeschichten aus dem 17. Jahrhundert. Dann kam ich hierher und landete wieder im gleichen Jahrhundert. Auf eine Art lebe ich immer mit einem Fuss in der Vergangenheit.

Christian hat die Orgel von seinem Vater bekommen und ihm versprochen, darauf zu spielen

Für nächstes Jahr sucht Schaffhausen einen neuen Munotwächter. Weisst du schon, wer es wird? Dürft ihr bei der Entscheidung mitbestimmen?
Es ist noch nicht ganz klar. Es gibt 83 Bewerber, unter denen auch ein paar Frauen sind. Jetzt sind wir daran, zusammen mit der Stadt und dem Munotverein, die Favoriten auszuwählen. Wenn wir jemanden gefunden haben, wird der- oder diejenige von uns eingearbeitet. Ich würde es toll finden, wenn zur Abwechslung eine Frau Munotwächterin werden würde.

Nächstes Jahr wirst du pensioniert. Hast du schon irgendwelche Pläne, was du tun wirst, wenn du nicht mehr in einem Turm lebst?
Ich glaube, ich werde mich meiner Musik widmen. Ich habe mit ein paar Freunden eine Band, die heisst Salsongoza. Wir sind ein Septett und unser Bandleadeer ist der kubanische Sänger David Robertson. Als Munotwächter bin ich im Moment noch lokal angebunden, aber später möchte ich meine ganze Energie in unsere Musik stecken und auch wieder öfter in anderen Städten und an Festivals spielen. Eine neue Wohnung haben wir noch nicht in Aussicht. Wir haben eigentlich vor, in Schaffhausen zu bleiben. Obwohl ein Leuchtturm in der Karibik auch noch zur Diskussion steht.

Sascha hört täglich die Munotglocke: @saschulius
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