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Musik

Das Drohnen-Orchester LOOP>>60 HZ im Londoner Barbican

Mit maßgeschneiderten Kostümen ausgestattet flogen die Drohnen über den Köpfen des Publikums eine speziell choreographierte Performance zur Musik von John Cale.
Fotos: Sidd Kharjuria (soweit nicht anders angegeben)

Bei der Ausstellung Digital Revolution im Londoner Kulturzentrum Barbican im vergangenen September vereinte sich die Musik von John Cale mit den spekulativen architektonischen Visionen von Liam Young. Aus dem Strudel kollektiver kreativer Energie entstand die erste Drohnen-Orchester-Performance überhaupt.

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„Das Stück mit dem Titel LOOP>>60Hz: Transmissions from the Drone Orchestra war eine Kollaboration zwischen Strukturen in der Luft und Musik“, erklärt Multi-Instrumentalist Cale, der als eines der Gründungsmitglieder von Velvet Underground schon in jungen Jahren in die Musikgeschichte eingegangen ist. In einer neuen Dokumentation nimmt The Creators Project diese einzigartige künstlerische Partnerschaft unter die Lupe und präsentiert eine spektakuläre Live-Drohnen-Performance sowie die begleitende Online-Plattform City of Drones, die in Kollaboration mit FIELD entstand.

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Young bekam eines Tages einen Anruf von Cale. Der hatte Youngs früheres Werk Electronic Counter Measures gesehen, in dem auf einer Gruppe von Drohnen befestigte WLAN-Router ein gehacktes Internetsignal senden. Young hatte außerdem bereits Lautsprecher an Drohnen montiert und sie beim Burning Man Wagners Walkürenritt aufführen lassen. Als großer Innovator in der Musikwelt war Cale fasziniert von der Möglichkeit, seinen unverkennbaren Klangstil auf ein mehrkanaliges fliegendes Orchester zu übertragen. Als Young und Cale sich dann zum ersten Mal trafen, begannen sie sofort zu überlegen, was aus einer Drohne werden könnte, wenn man sie aus ihrem herkömmlichen Kontext von Krieg und Terror lösen könnte. Ihre Vision war es, den Drohnen jenseits von Technologie eine etwas menschenähnlichere Charakteristik zu verleihen.

John Cale steht auf der Bühne, Liam Young steuert die Drohnen aus dem Orchestergraben

Ganze zwei Jahre vergingen, bis sie einen geeigneten Veranstaltungsort gefunden hatten. „Es hat seinen Grund, warum niemand vor uns so etwas versucht hat. Leuten diese Technologie über die Köpfe zu schicken, ist wirklich brutal. Sie drehen sich in außerordentlicher Geschwindigkeit. Die Propeller könnten jemanden köpfen“, erklärt Young. Die Idee war es, Leute direkt mit der Technologie in Kontakt zu bringen. Indem es eine spielerische Interaktion zwischen Menschen und Robotern innerhalb eines geschlossenen Raums gab, konnten die Zuschauer die Drohnen als Alltagsgegenstand anstatt als Waffe erfahren. Das Barbican Theatre stellte sich dieser Herausforderung.

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Für die Performance remixte und überarbeitete Cale seine Musik. „Ich habe alles neu entworfen. Ich habe die Arrangements geändert und sie viel härter, urbaner und kälter gemacht. So stachen die Stimmen mehr hervor und der Gesang wurde viel emotionaler“, erklärt der Musiker. Einige der insgesamt 15 Drohnen trugen seine Stimme während der Performance in verschiedene Bereiche des Raums. Inspiriert von seinen früheren Arbeiten mit drone music verstärkte Cale zusätzlich fliegende Roboter mit Lautsprechern, um das mechanische Summen ihrer Motoren zu verstärken und so zusätzliche Geräusche zu erzeugen, die in die Live-Komposition integriert wurden.

Ähnlich wie ein Choreograph den Tänzern erklärt, welche Schritte sie machen müssen, wurde für die Drohnen ein konkretes Bewegungsmuster programmiert. Programmierer Andreas Müller entwickelte ein Ultraschall-Tracking-System, mit dem das Team das Licht steuern, den Effekt eines Nebelschleiers erzeugen und den kompletten Raum des Theaters für die Chorographie nutzen konnte.

Wie Tänzer und Schauspieler trugen die Drohnen ihre eigenen maßgeschneiderten Kostüme: Von hellgrünem und blauem Gefieder, einem Mantel aus 500 Handyanhängern, einer kistenähnlichen Struktur mit Gefahrenwarnband überklebt bis zu einem funkelnden Discoanzug aus 4.000 gefakten Nägeln. Jedes Kostüm verwandelte eine Drohne in ein kulturelles Objekt, eine einzigartige „Spezies“ mit eigener Persönlichkeit und Temperament, die eine spezifische Rolle in Cales Soundlandschaft übernahm. Die Disco-Drohne wurde zum Beispiel entworfen, um während Cales Track über Geisterschiffe ein Segel darzustellen, erklärt uns der Künstler. „Wenn du eine Drohne hast, ist es ein Mysterium, wenn du zwei hast, eine Liebesgeschichte. Und sollten es noch mehr sein, hast du einen Familienstreit“, so Cale. „Das ist es, was wir machen. Wir finden Charaktere in der Technologie.“

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© James Medcraft

Produzentin Keri Elmsly stand während der Aufführung im Orchestergraben und koordinierte die Starts und Landungen. „Es war wie ein militärischer Einsatz“, beschreibt sie. „Man wusste nicht, was passieren würde.“ Die Herausforderungen bei der Kreation einer Performance, die Drohnentechnologie mit Live-Musik kombiniert, waren gewaltig. Besonders kompliziert war es, die Drohnen in vorderster Reihe fliegen zu lassen. Die Kostüme machten die Aerodynamik unvorhersehbar.

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Neue technische Problem tauchten sogar noch wenige Stunden vor der Show auf. Der ursprüngliche Plan sah unabhängige Drohnen vor. Doch als das automatisierte System versagte, musste das Team die Show für manuelle Steuerung anpassen und die Drohnen fernsteuern lassen. Nita Scott, Cales Managerin und Produzentin der Show, führte Regie und koordinierte Flugmuster sowie Einsätze der Drohnen. Es wurde eine spezielle Start-Plattform angefertigt, von der Scott sowohl Cale als auch die Drohnen-Piloten sehen konnte. „Der kritischste Punkt bestand darin, sicherzustellen, dass das künstlerische Konzept aufrechterhalten und keiner Drohne in der Luft die Batterie ausgehen würde“, so Scott.

Denn mit dem Gewicht, das die Drohnen tragen mussten, erschöpften sich die Batterien sehr schnell, innerhalb von fünf bis zehn Minuten. Es gab deshalb extra ein Team an Batterienwechslern, die die Drohnen während der 80-minütigen Show kontinuierlich „wiederbelebten“. „Es steckt eine ziemlich außergewöhnliche Infrastruktur hinter den Kulissen“, erklärt Young. „Wir sehen nur die Drohnen in der Luft, aber eigentlich sind sie Teil eines viel größeren technologischen Systems.“

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Vor dem Konzert selbst gab es bereits ein Online-Portal, das Cale und Young im Zusammenarbeit mit Field im Auftrag von The Space kreierten. Die Website mit dem Namen City of Drones ermöglicht es den Usern, eine einsame Drohne durch endlose, abstrakte urbane Landschaften zu steuern. Diese interaktive digitale Umgebung bietet den Leuten eine Welt, in der sie die Performance manipulieren können. „Es gab uns eine visuell mächtige Sprache, die wir so im Theater nicht verwenden konnten“, ergänzt Elsy. In zukünftigen Theaterstücken würden sie und ihr Team gerne die Online-Erfahrung mit der Performance verschmelzen.

Als Ruth Mackenzie, vorläufige Geschäftsführerin und Creative Director von The Space, über das Barbican zum ersten Mal von LOOP>>60Hz hörte, war sie besessen von der Idee, echte Drohnen in einem geschlossenen Konzertsaal einzusetzen: „Es klang aufregend und gefährlich“, erklärt sie lachend. Für die in Auftrag gegebene Online-Arbeit hatten Mackenzie und The Space die Künstler herausgefordert, etwas zu kreieren, das dieselbe Gefährlichkeit, Interaktivität, Verspieltheit, Risiko und Vielfalt wie die Performance transportiert. „City of Drones ermöglicht dir auf lustige Weise eine persönliche Drohnen-Erfahrung“, erklärt sie. „Es ist eine digitale Welt mit einem wirklich hohen Maß an künstlerischer Erfahrung und Innovation.“

City of Drones

City of Drones fügt sich nahtlos in die Mission von The Space ein, innovative neue Kunstwerke, die sich mit dem Einfluss digitaler Technologie auf Kreativität beschäftigen, online kostenlos zu verbreiten. The Space startete Anfang des Jahres seinen jährlichen Open Call für kreative Arbeiten, die sich mit mobilen Geräten als Medium auseinandersetzen. Eine Vorauswahl wird im Dezember, die Gewinner Anfang 2015 bekanntgegeben.

Mackenzie interessiert es, wie viele Drohnen aktuell für militärische und überwachungstechnische Zwecke eingesetzt werden. Sie schätzt Cales und Youngs futuristische Vision und wie die beiden Künstler den Verwendungszweck von Drohnen neu interpretieren. Elmsly stimmt zu: „Eines Tages, in nicht all zu ferner Zukunft, werden wir uns nicht länger fragen, warum wir Drohnen haben.“ Die Diskussion über den zukünftigen Einsatz von Drohnen und seine entsprechenden Auswirkungen waren es, was sie hauptsächlich an dem Projekt reizte. Ob es demnächst mehr Drohnenkunst geben wird, kann Mackenzie nicht mit Sicherheit sagen. Aber sie glaubt, dass es noch eine Weile dauert, bis Drohnen als gewöhnlicher Gegenstand betrachtet werden, losgelöst aus ihrer negativen Konnotation.

Die Drohnen aus LOOP>>60Hz dürfen nach ihrem großen Auftritt erstmal verschnaufen. Aber nicht all zu lang: „Sie befinden zur Zeit sich in Luftpolsterfolie in meinem Studio, aber man kann ein Tier nicht so einsperren“, erklärt Young. „Wir müssen sie rauslassen und einen neuen Platz für sie finden.“