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Heimatliebe

Das irritiert deutsche Auswanderer nach ihrer Rückkehr an Deutschland am meisten

"Was fahrt ihr denn in diesen winzigen Spielzeugautos herum?" – "Deutschland ist hässlich!" – "Ich hatte den Durchfall meines Lebens."
Eine junge deutsche Auswanderin neben einem Surfbrett
Rebecca | Foto: Privat

Lederhosen, AfD, Helene Fischer – manche Dinge lässt man gerne hinter sich, wenn man Deutschland verlässt. Auf die Euphorie, endlich weg zu sein, folgt oft Heimweh. Denn es gibt hierzulande auch recht praktische Dinge wie eine gesetzliche Krankenversicherung, und Alkohol darf man auch in der Öffentlichkeit trinken.

Wenn Expats schließlich zurückkommen, sehen sie Deutschland mit anderen Augen. Dinge, die für sie vorher völlig alltäglich waren, erscheinen ihnen auf einmal absurd. Wir haben sie deshalb gefragt, was sie nach ihrer Rückkehr am meisten überrascht hat.

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Natascha, 26

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Natascha hat 18 Monate in Südkorea gelebt. Sie hat für eine NGO in der Hauptstadt Seoul und der südlichen Hafenstadt Busan gearbeitet

"Deutschland ist hässlich! Das war mein erster Eindruck. Und unflexibel. In Südkorea bemüht sich jeder um ein gepflegtes Aussehen. Alles ist hübsch: Gebäude, Inneneinrichtung, Angestellte – vom Schüler bis hin zur Sachbearbeiterin im Amt. Das ist eine Sache des Respekts gegenüber anderen Menschen. Es war ungewohnt für mich, so viele Menschen hier auf der Straße zu sehen, die sich bei ihrem Outfit offensichtlich wenig gedacht haben. Dieser Fokus auf dein Aussehen ist in Korea überall spürbar. Es hat lange gedauert, bis ich wieder in Jogginghose morgens beim Bäcker war. Für die ersten Monate nach meiner Rückkehr war das ein absolutes No-Go!

Noch dazu arbeiten Ämter in Korea effizienter als in Deutschland. Du hast ein Problem mit den Auflagen für dein Visum? Ein Anruf bei der Ausländerbehörde und dein Problem ist gelöst. Man kann sich darauf verlassen, dass die Angestellten immer höflich mit dir umgehen.

Service ist alles in Südkorea. Du arbeitest bis halb elf und die Läden sind geöffnet. Manchmal gehst du mitten in der Woche nach der Arbeit mit Kollegen bis spät in die Nacht einen trinken. Das gehört zum Alltag. Ich war deshalb nach meiner Rückkehr stark verwundert, dass hier um spätestens zehn Uhr alles geschlossen ist. Die Straßen sind ausgestorben. Ich habe mich gefragt, wo all die Menschen sind."

Freddy, 22

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Freddy ging für ein Dreivierteljahr Jahr nach Togo. Als Freiwilliger unterrichtete er an einer Grundschule, nebenbei legte er HipHop im Lokalradio auf

"Eigentlich ist Deutschland ja nicht für seine gute Küche bekannt, aber als ich nach meiner Rückkehr ein frisches Brötchen mit Käse aß, habe ich fast geheult. Ich hatte die ganze Zeit über in einer togoischen Gastfamilie gelebt. Dreimal in der Woche gab es Maisbrei mit Ölsoße, sonst Reis oder Yam-Wurzeln.

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Ich weiß nicht, was für Geschmacksverstärker hier im Essen landen, aber das Essen in Deutschland schmeckte unglaublich. Fast zu gut. Ich habe mir gleich am ersten Tag einen Döner reingestopft, dazu Camembert, Joghurt, Schokolade und einen Liter Milch. Milchprodukte gibt es in Westafrika eigentlich gar nicht, in Deutschland gehören sie zu jeder Mahlzeit. Auf die Laktose-Überdosis war mein Magen nicht vorbereitet – ich hatte den Durchfall meines Lebens.

Aber zumindest hatte ich ein richtiges Klo und fließend Wasser. In Togo war der Brunnen 50 Meter von unserem Haus entfernt. Wenn ich duschen wollte, musste ich Wasser aus dem Brunnen schöpfen und dann die Eimer zurück zum Haus schleppen. Mit dem kalten Wasser habe ich mich dann hinter einem Wellblech gewaschen.


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Und plötzlich stand ich in Deutschland wieder unter einer richtigen Dusche. Für ein paar Minuten schaute ich einfach nur zu, wie das Wasser aus der Leitung spritze. Ich konnte es nicht fassen. Noch unfassbarer aber war, dass ich die Temperatur regeln konnte.

Neben dem Essen und Duschen war es aber wohl die Ruhe, die mir am meisten gefiel. In Togo läuft immer irgendwo Musik, ständig krähen Hähne und die Leute schreien mehr, als dass sie reden. In Deutschland wirst du böse angeguckt, wenn du im ICE telefonierst. Früher fand ich das spießig, mittlerweile gucke ich die Leute genauso böse an."

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Karl, 24

Karl ist für eine Beziehung für zwei Jahre nach Italien gegangen. Dort hat er in einem kleinen Betrieb gearbeitet.

"Mich hat gestört, dass sich das Zusammenarbeiten in deutschen Büros oft etwas merkwürdig anfühlt. Es dauert lange, bis man den Anschluss findet. Obwohl es in Italien kein Feierabendbier gibt, lässt du den Arbeitstag abends mit den Kollegen bei einem Abendessen und ausgedehnten Gesprächen ausklingen. Dafür nimmt sich jeder gerne Zeit und man lernt sich dabei besser kennen.

In Italien dauert es keinen Tag und du machst als Newbie neue Freunde im Büro. Zurück in Deutschland war ich verwirrt, als ich den ersten Monat lang einsam und allein durch den Betrieb gespukt bin. Da wollte einfach keiner mit mir reden!

Aber dafür beherrscht in Deutschland fast jeder Englisch und ist bereit, mit dir zu kommunizieren. In Italien kommst du außerhalb der Tourismus-Zentren nur schwer rum, wenn du kein Italienisch sprichst."

Jana, 32

Jana ist nach dem Studium nach Kanada gezogen, um das Land ihrer Mutter kennenzulernen. In Toronto, Vancouver und auf Nova Scotia hat sie vier Jahre lang als Lehrerin gearbeitet.

"Mir fiel es schwer, mich wieder an die deutsche Sprache zu gewöhnen. Ich war verdutzt, als ich sie nach so langer Zeit wieder gehört und gesprochen habe. Das hat sich sehr falsch angefühlt, so steif und unnatürlich. Als wärst du plötzlich in einem schlecht synchronisierten Hollywood-Film. Warum reden alle Deutsch hier?

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Was mir noch total aufgefallen ist: das ungewöhnliche Tempo an den Kassen. Warst du schon mal zu Stoßzeiten in einem Lidl mit acht Artikeln unterm Arm? Die Kassiererin zieht alles schnell über die Kasse und verlangt augenblicklich das Geld von dir, während du gerade noch einpackst.

Außerdem ging mir die Haltung der Deutschen zugegebenermaßen etwas auf die Nerven. An vielen Orten in Kanada hast du direkten Kontakt mit den Leuten, sie schauen dich an, wenn du in die Bahn steigst, dazu Small Talk an der Kasse. Wieder in Berlin kam es mir vor, als würden die Menschen eine Mauer vor sich aufbauen, um niemanden heranzulassen. Das hat mich traurig gemacht."

Rebecca, 26

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Rebecca hat fast ein Jahr in den USA gelebt und war lange als Backpackerin in Südostasien und Australien unterwegs | Foto: Privat

"In Deutschland ist alles kleiner. Der Kaffee ist kleiner, die Teller sind kleiner, die Autos sind kleiner. Als ich wiederkam, dachte ich mir: Was fahrt ihr denn alle in diesen winzigen Spielzeugautos herum?

Und: Deutsche haben irgendwie einen Fetisch mit Warnwesten. Überall sehe ich Warnwesten! In Thailand habe ich niemanden gesehen, der sowas trägt. Einige sind mit Flipflops auf die Bäume geklettert, aber niemandem kam es in den Sinn, eine Warnweste anzuziehen."

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