FYI.

This story is over 5 years old.

It's still real to me, damn it!

It's still real to me, damn it! Die VICE Wrestling-Kolumne

Wrestling und VICE = gut geölter Scheiß. Mit vier guten Gründen, warum Wrestling die Welt besser macht.

Schon das letzte Mal habe ich angekündigt, dass ich euch dieses Mal im Detail erklären werde, warum Live-Wrestling die Menschheit im Sinne des kategorischen Imperativs nur zu einer beseelteren, aufgeklärteren Spezies machen wird. Mit Punkten und Argumenten und so. Und ja, das war mein Ernst. Am 21. September habt ihr die Chance, selbst Teil der Bewegung zu werden, indem ihr einfach in der Arena vorbeischaut, wo sich maskierte Luchadores und lustige Metaler beim Rock'n'Roll Wrestling Bash: Trash-O-Calpyse die Klinke in die Hand geben. Oder den Moonsault in die Magengrube. Je nachdem. Hier sind jedenfalls vier gute Gründe, warum ihr hingehen solltet:

Anzeige

1. Wrestling hilft gegen Verschwörungstheorien

Egal, ob es um Obamas Geburtsurkunde, gefährliche Chemtrails statt harmloser Kondensstreifen am Himmel oder irgendeine andere haltlos zusammengeschusterte Collage aus Wetterexperimenten, Wahrnehmungskontrolle, Illuminati-Regierung, Drogen-Mafia-Monopol und der Flache-Erde-Theorie geht, alle Verschwörungstheorien haben eins gemeinsam: Sie sind in sich schlüssig und verfolgen unter der funky Oberfläche aus halbgarem Datenschund dasselbe Ziel. Und nein, das ist jetzt nicht eine Meta-Verschwörungstheorie, die hinter allen Verschwörungstheorien der Welt die Über-Illuminati und die Bilderberg-Gruppe wittert, sondern der Versuch, es mal aus ein bisschen Distanz zu sehen. Insofern tun Verschwörungstheorien nämlich vor allem eins: Sie stiften Sinn und geben der Welt beziehungsweise dem eigenen Leben Bedeutung. Sie unterstellen Zusammenhänge, wo sonst nur Chaos wäre und haben eine Erklärung für alles parat, zu dem ihr jemals eine Frage in eurem Kopf formuliert habt, inklusive dieser einen Sache, die ihr gerne mit ihr-wisst-schon-was machen würdet (medieninduzierte Hypersexualisierung oder so).

Und das ist prinzipiell nicht mal besonders dumm, sondern ganz einfach Ausdruck davon, wie unser Gehirn mit der Welt umgeht und die Riesenmengen an Information für unser Bewusstsein in verdauliche Happen zu portionieren versucht, ohne dabei den Überblick zu verlieren. Man könnte sagen: Kognition schafft Kausalität. Also, nur um auch mal was Schlaues gesagt zu haben. Wer hingegen mehr als einmal in seinem Leben Wrestling gesehen hat, lernt über die Zeit, genau diese Zusammenhanglosigkeit und dieses Durcheinander zu schätzen, das jedes Event und jede Storyline bis ins Mark durchzieht. Wrestling-Fans sind es gewöhnt (oder darauf konditioniert, um es mit den medienverdammenden Verschwörungshoschis zu sagen), die Dinge hinzunehmen, wie sie kommen.

Anzeige

Sie haben verstanden, dass man Fragen manchmal auch gut sein lassen muss und sich manche Sachen nie aufklären, ganz egal, wie oft man sie in einem Forum aufbringt oder wie hartnäckig man wissen will, wer nun der Anonymous General Manager von Raw eigentlich wirklich war. Okay, schlechtes Beispiel: Diese Frage wurde ja kürzlich nach jahrelanger Wartezeit doch in einer Neben-Storyline aufgeklärt und die antiklimaktische Antwort lautete: der kleinwüchsige Kobold Hornswoggle. Was irgendwie aber auch wieder meinen Punkt unterstreicht, denn: Manches will man vielleicht gar nicht bis zur letzten Konsequenz durcherklärt haben. Nicht, weil die Illuminaten dahinterstecken, sondern gerade, weil sie es nicht tun und die wahre Antwort furchtbar unaufregend sein kann.

2. Wrestling hilft gegen Postmoderne

The Simpsons did it first. Jaja. Auch, wenn die Postmoderne in den Augen der Akademiker-Hipster irgendwie schon lange vorbei ist, hat seither noch niemand ein neues Zeitalter mit einem neuen Namen eingeleitet und außerdem auch noch nicht mal die Hälfte der Simpsons-Seher verstanden, was mit Postmoderne überhaupt gemeint ist, also lass ich die paar Wissenden mal außen vor und lass mich noch ein letztes Mal auf dieses Thema ein. Weil es um Wrestling geht und damit um den Dienst an einer größeren Sache. Und weil "Postpostmoderne" ein Begriff ist, den ich absolut nicht ernstnehmen kann, weshalb ich die Kulturwissenschaftler hiermit auch bitten möchte, sich endlich eine neue Ära auszudenken, die man auch als Label tragen kann. Also, liebe Kulturwissenschaftler: Los geht's. Die Details können wir dann ja am 21. in der Arena besprechen.

Anzeige

Gut. Zurück zur Postmoderne. Ich meine damit alles, was dekonstruierend, nichterzählerisch, augenzwinkernd, obergscheid ist. Also alles, das nicht mehr einfach für sich stehen kann, ohne dass in einer Fußnote "Wir finden's eh selber scheiße, aber deshalb ist es ja lustig" steht. Das klingt jetzt vielleicht hochtrabender als es gemeint ist. Die Simpsons und Family Guy sind typische Beispiele - da geht es ja auch nicht um stringente Geschichten, sondern darum, die Geschichte im Lauf einer Folge zehnmal zu ändern und tausend Referenzen unterzubringen.

Wie bereits der Titel dieser Kolumne und das titelgebende Video It's still real to me, damn it! zeigen, ist Wrestling die letzte Bastion der Achtzigerjahre-Ernsthaftigkeit und wehrt sich bis heute vehement gegen alles Postmoderne, es sei denn, es geht darum, aus purer Selbstverliebtheit eigene Storylines aufzukochen und zu referenzieren. Aber auch dann ist die Absicht dahinter nicht abgebrüht, sondern kommt vielmehr aus denselben Abgründen kindischer Fan-Verliebtheit, in denen auch das Dreibuchstabenwort LUV zusammengebraut wurde.

3. Wrestling verhilft euch zu mehr Dadaismus

Ich könnte euch das jetzt zwar auch theoretisch erklären, aber damit ihr es nicht nur intellektuell versteht, sondern mit allen Sinnen begreift, habe ich euch stattdessen dieses legendäre Video von Mae Youngs Geburt dramatisch aufbereitet.

------ Dramatis personae ------

Anzeige

Mae Young ……………… Koryphäe des Frauen-Wrestling. War acht Jahrzehnte lang aktiv. Dauergeile Seniorin. Schwanger.

Mark Henry ……………… Gewichtheber, Spitzname "Sexual Chocolate" und "World's Strongest Man". Mae Youngs pummeliger Geliebter.

The Fabulous Moolah ……. Weitere Legende des Frauen-Wrestling. Mae Youngs Freundin und die Stimme der Vernunft.

Jerry Brisco …………….. Früherer Wrestler und World Champion. Handlanger von Vince McMahon. Blumenkohlohren.

Pat Patterson ………….. Erster Intercontinental Champion und erster bekennend schwuler Wrestler. Handlanger Vince McMahons.

Der Sanitäter …………… Irgendein Sanitäter. Egal.

Synopsis: Mae Young ist seit längerem von "Sexual Chocolate" Mark Henry schwanger (dass er sich selbst so nennt, macht es wohl weniger rassistisch oder so). Während einer montäglichen Folge Raw entweicht ihr plötzlich das alte Fruchtwasser und die Geburt kann nicht mehr bis zum Krankenhausbett warten. Drum wird die Gute hinter den Kulissen, die eigentlich auch noch Kulissen sind, in ein kleines Zimmer gefahren und auf die Niederkunft ihres, ähm, Sprösslings vorbereitet. Erste Anklänge von Rosemary's Baby machen sich breit, während Mae Young dasselbe mit ihren Schenkeln tut und sich genüsslich eine fette Zigarre anzündet. Anschließend hören wir, wie die alternde Diva im Palletten-besetzten Blazer Scheiße aus dem Enddarm presst und sehen dazu Pat Patterson – seines Zeichens stolzer erster Intercontinental Champion – im Abstand von wenigen Minuten immer wieder ein bisschen Kotze hochwürgen.

Anzeige

Wer denkt, das wäre jetzt schon eine komische Einspielung, hat natürlich recht. Richtig gut wird es aber erst, als der Sanitäter unter massivem Stöhnen und Furzen ein schleimiges Etwas aus der Trockenfrucht schält und das Neugeborene in die Kamera hält. Es ist nämlich kein Baby, sondern eine menschliche Hand.

Angesichts der Entwicklungen beginnt sich nun auch der WWE-Offizielle Jerry Brisco ein wenig zu übergeben. Manche mögen meinen, es sei ihm in diesem Moment lediglich wieder eingefallen, dass er einst in den glorreichen Tagen der territorialen Wrestling-Ligen ein ernsthafter Performer gewesen war. Aber echte Kenner wissen es besser. Jerry Brisco ist aus demselben Grund angewidert wie wir. Die Hand ist nämlich weiß. Mark Henry aber ist schwarz. Die alte Fotze ist also fremdgegangen.

Kotzen.

Vorhang.

Enden wollender Applaus.

4. Wrestling hilft euch, die Welt zu lieben

Ganz egal, wie viel Blutsauce sich die Kontrahenten mit Stacheldraht-umwickelten Baseballschlägern aus der Stirnritze quetschen lassen und egal, wie oft jemand einen Suicide Dive direkt ins Publikum ausführt und damit seine Stiefel um ein Haar in die weit geöffneten Schnäuzchen von gleich drei unschuldigen Kindern stopft und egal, wie beleidigend ein Wrestler auch wird, indem er jedem im Publikum, der sich in seiner Reichweite befindet, eine Tüte über den Kopf stülpt und egal, wie bestialisch und gemein und unhöflich die Show zu ihren Athleten oder ihrem Publikum sein mag – das Stichwort, das ausnahmslos alle Wrestling-Events auszeichnet, lautet: Friedliche Fans. Manche Grammatik-Nazis schreien jetzt vielleicht auf, weil das immerhin zwei Stichworte sind und nicht eines. Aber da ich selbst Wrestling-Fan bin, kann mich nicht mal das aus der Ruhe bringen. Seht ihr, wie friedlich ich bin? Fragt mich nicht, woher das kommt. Vielleicht hat es etwas mit Ventilen zu tun. Und vielleicht hilft es auch, dass man als Fan mit Wrestling ein Ventil gewählt hat, bei dem nicht die geringste Chance besteht, dass man jemals Ernst und Spaß verwechseln und zu einem echten Hooligan mutieren könnte. Ich war schon bei vielen Live-Events und alles, was ich gesehen habe, waren Leute, die so getan haben, als würden sie einander zusammenschlagen. Das sagt, denke ich, alles.

Anzeige

Und nur, wer innerlich so richtig friedlich ist, tut sich an einem Freitagabend freiwillig sowas an:

Und zwar am Freitag dem 21. September. Hab ich zwar schon zuvor mal gesagt, aber ich weiß ja, dass ihr als Wrestling-Fans auch nicht noch mal nachfragen würdet, wenn ihr es schon wieder vergessen hättet, weil ihr längst Frieden mit der absurden Natur der Welt geschlossen habt und auch gar keinen Grund seht, warum ihr schlauer als der Rest daherkommen solltet. EINUNDZWANZIGSTER also. ARENA WIEN. Habt ihr kapiert??? Ich geh mir jetzt Mick Foleys japanisches Deathmatch ansehen, um wieder ein bisschen friedlicher zu werden. Mahalo!


MACHO-MUGSHOTS UND MEHR REUDIGES RASSLING:

Mugshots Matches, Teil 4: Big Daddy Cool Diesel

Aka Big Sexy aka Vinnie Vegas aka The Grand Wizard of Oz aka Kevin Nash. Dieser Mann ist der einzig wahre Bodyguard des Wrestling und der Grund, warum man ab 50 nur noch wie ein Bauarbeiter reden und dabei stets ein Weinglas schwenken sollte.

Mugshot Matches, Teil 3: Ric The Nature Boy Flair

Swagmeister und "Mic King" Ric Flair ist nicht nur das Vorbild für Will Ferrells Ashley Schaeffer in Eastbound and Down, er rockt auch definitiv in allen Farben - und das schon seit sowas wie 30 Jahren. Hier erfahrt ihr die Antwort auf die ewige Frage, ob man besser mit Würde oder mit Federboa altert.

Mugshot Matches, Teil 2: Jeff "Pardy" Hardy

Manche Kämpfe sind nicht ganz einfach. Schwarze gegen Weiße, ich gegen das Bedürfnis, jeden Tag ein halbes Nutella-Glas leer zu löffeln oder Wrestler gegen ihre "inneren Dämonen". Einen ebensolchen hat auch der gute Jeff Hardy immer wieder niederzuprügeln.