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Social Media

Was passiert, wenn ein Künstler eure Tinder und LinkedIn-Profile gegenüberstellt?

„Ich weiß, das ist ein bisschen fies, aber ich konnte einfach nicht widerstehen“, gibt Dries Depoorter zu.
Dries Depoorters LinkedIn und Tinder Profilbild.

Wenn ihr eure LinkedIn- und Tinder-Profilbilder nebeneinander legen würdet, worin würden sie sich unterscheiden? Das ist die zentrale Frage, die der belgische Künstler Dries Depoorter mit seinem Projekt Tinder In in den Raum stellen will. Auf seinem eigenen Tinder-Profil sammelte er zunächst Fotos beliebiger Frauen, die ihm in seinem Umkreis angezeigt wurden, und suchte anhand der Namen auf LinkedIn nach ihren Profilen. Die Fotoreihe will Depoorter schon bald in Form von zehn Doppelporträts in einer Pariser Galerie ausstellen lassen; die professionellen und etwas versteiften Porträts von LinkedIn auf der linken Seite, die Tinder-Fotos der oftmals spärlich bekleideten Frauen auf der rechten.

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Auf den ersten Blick erscheint das Projekt ein wenig wie „Public Shaming“, also eine Art Strafe durch digitalen Pranger: seht euch diese Frauen an, die so unsicher mit sich selbst, ihrem Image und ihrer Sexualität sind. Es ist fast unangenehm, die Bilder im direkten Vergleich nebeneinander zu sehen, einerseits der abgebildeten Frauen wegen, und andererseits, weil man sich auch selbst ertappt fühlt. Jeder hat diese zwei Gesichter, aus dem einfachen Grund, dass unterschiedliche Plattformen unterschiedliche Anforderungen an uns stellen. Verständlicherweise werden die Unterschiede zwischen einem beruflichen Netzwerk und einer Dating-App am größten sein. Nachdem Depoorter ziemlich harsche Kritik erfahren hatte, weil er zunächst nur Bilder von Frauen für Tinder In verwendete, ergänzte er anschließend auch Bilder von männlichen Tinder- und LinkedIn-Usern, inklusive seiner eigenen.

In einem Telefongespräch mit Depoorter wurde schnell klar, dass er selbst noch ziemlich unsicher ist, wie es mit seinem Projekt weitergehen wird. „Nein, diese Frauen wissen nicht, dass sie Teil des Projekts sind. Ich habe sie nicht um Erlaubnis gebeten“, gestand er. „Ich weiß, das ist ein bisschen fies, aber ich konnte einfach nicht widerstehen. Um ehrlich zu sein, mache ich mir mittlerweile aber schon Sorgen. Sechs Fotos wurden bereits veröffentlicht, und ich rechne jeden Tag mit einer Mail, in der eine der Frauen fordert, dass ihre Fotos sofort offline genommen werden.“

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Tinder In (2015), Dries Depoorter. Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

Wirklich überrascht sind wir von der Art des Projekts aber nicht. Depoorter ist dafür bekannt, mit seinen Kunstwerken die Grenzen der digitalen Privatsphäre auszuloten, seine eigene als auch die seiner „Objekte“. Für ein früheres Projekt mit dem Titel Trojan Offices hat er sich beispielsweise im Internet in etliche öffentliche Webcams aus beliebigen Büros eingehackt und das gesammelte Material als Videoinstallation auf verschiedenen Kunstfestivals gezeigt. Für Here gab er seine eigene Privatsphäre auf und ließ eine Google-Maps-Website seine Aufenthaltsorte auf Schritt und Tritt verfolgen. Auch für das anstehende Projekt Jaywalking, das im November vergangenen Jahres auf dem International Documentary Festival Amsterdam angekündigt wurde, wird er wieder auf Webcams zurückgreifen. Dieses Mal hat er vor, Webcams, die im Straßenverkehr eingesetzt werden, zu hacken und Livebilder von Kreuzungen zu zeigen. Jedes Mal, wenn ein Fußgänger bei Rot über die Ampel geht, haben die Zuschauer dann die Wahl: Verrät man den Verkehrssünder an die Polizei oder kauft man einen Screenshot für den Preis der im jeweiligen Land anfallenden Strafe?

Tinder In reiht sich somit perfekt in sein Gesamtwerk ein. „Meine Arbeiten haben in den vergangenen Jahren größtenteils die Privatsphäre thematisiert, und was sie für junge Leute bedeutet“, erklärt er. „Ich fühle mich wegen des Projekts einerseits schon irgendwie schuldig, aber andererseits sind diese Bilder ja im Internet sowieso für jeden frei zugänglich. Es wird eben nur komisch, wenn man sie nebeneinander legt.“ Für Depoorter sind jedoch nicht die Fotos selbst oder die darauf abgebildeten Personen das Interessante, sondern die Tatsache, dass jede Plattform uns scheinbar auf gewisse Weise vorschreibt, wie wir uns präsentieren sollten. „Auf LinkedIn trifft man meist auf diese Anzug-Fotos, die häufig vor weißem Hintergrund und typischerweise für ein Vorstellungsgespräch von professionellen Fotografen gemacht werden lassen. Auf Tinder hingegen dominieren private Party- und Urlaubsbilder, auf denen nicht selten viel nackte Haut zu sehen ist. Frauen entscheiden sich für Bilder mit großem Dekolleté, Männer für Bilder, auf denen ihre Muskeln gut zu sehen sind.“

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Depoorter will aber auch aufzeigen, wie einfach es geworden ist, online alle möglichen Informationen über jemanden zu sammeln. „Vor kurzem erst hat Tinder die Funktion eingeführt, durch die man seinen Tinder-Account mit seinem Instagram verbinden kann. Und selbst wenn das Instagram-Profil eigentlich privat ist, können nach rechts geswipte Leute es über Tinder einsehen. „Es ist ein komischer Bug, oder vielleicht wurde es auch mit Absicht so programmiert, damit man dieses eine Mal den privaten Instagram-Account des Flirtpartners auschecken kann. Dieses Feature hat es mir ermöglicht, die vollständigen Namen der Leute herauszufinden. Auf Tinder sieht man meistens nur den Vornamen, auf Instagram ist aber so gut wie jeder mit vollem Namen angemeldet.“

Seit er im vergangenen Monat die Bilderreihe auf seiner Website veröffentlicht hat, hat er bereits so einige Kritik einstecken müssen. Anbei einige Screenshots der verärgerten Kommentare. Neben Zweifeln an der Legalität seines Projekts wird vor allem die Tatsache kritisiert, dass in den ersten drei veröffentlichten Bildern nur Frauen zu sehen sind, das Projekt wird daher als sexistisch bezeichnet. „Das ist ganz und garnicht meine Absicht. Es sind nur Frauen zu sehen, weil ich mein Tinder-Profil benutzt habe, um die Bilder zu sammeln, es wurden mir also nur Frauen angezeigt. In der fertigen Fotoreihe werde ich auch Bilder von Männern zeigen. Die ersten beiden wurden sogar bereits veröffentlicht.“

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Als The Creators Project ihn nach seinen eigenen Profilbildern fragt, antwortet er lachend: „Ich bin das pure Klischee. Ich mache das Projekt nicht, weil ich denke, dass ich über all diesen Leuten stehe. Im Gegenteil. Deswegen habe ich mich ja auch dafür entschieden, meine eigenen Bilder in die Fotoreihe mit aufzunehmen—ich mache genau das Gleiche wie alle anderen.“

Für all die Damen und Herren, die nicht wirklich scharf darauf sind, Teil der Fotoreihe zu werden, das Profilbild von Deeporter ist als erstes Bild in diesem Artikel zu sehen, ihr seid also vorgewarnt. „Für meine zehn Doppelporträts fehlt mir immernoch eine Person. Ich bin dann mal auf Tinder.“

Auf Dries Deeporters Website könnt ihr seine Projekte verfolgen.