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Amazons menschliche Arbeiterdrohnen

Bis sich Amazons Drohnenflotte in die Luft erhebt, dürfe noch einige Zeit vergehen. Bis dahin behandelt das Unternehmen seine eigenen Mitarbeiter wie Roboter.

Ein Logistikzentrum von Amazon in South Carolina, YouTube Screenshot.

Amazon hat ja bekanntlich angekündigt, sich eine Flotte von Lieferdrohnen anzuschaffen. Natürlich sorgte diese Nachricht für gehöriges Aufsehen in den Medien. Doch muss man diese Ankündigung ernst nehmen oder sie als aufgeblasene PR-Aktion abtun? Wie würde ein System aus Lieferdrohnen denn überhaupt funktionieren? Bei der ganzen Diskussion ließ man ein viel größeres Problem außer Acht, nämlich die Frage, wessen Arbeitsplätze letztendlich durch die fliegenden E-Commerce-Roboter ersetzt würden. Wenn die Ära des automatisierten Konsums bereits auf dem Weg ist—wenn also eine Drohne deinen neuen Kindle aus dem Regal bis zur Türschwelle deines Hauses liefert—, dann heißt das wohl, dass die Zeit des mehr oder minder gutbezahlten Lager- und Fabrikarbeiters sowie des klassischen Lieferanten bald ein Ende finden wird.

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Ist das vielleicht auch der Grund, warum Amazon seine niederen Arbeiter schon jetzt wie Drohnen behandelt? Und ist das nicht der Grund, warum Hunderte deutscher „Amazon-Pflücker“ schon den ganzen November für höhere Löhne, gegen harte Arbeitsbedingungen und unrealistische Effizienzerwartungen seitens des Unternehmens streiken? Das sind diejenigen, die sich Tag für Tag in die riesigen Lagerhäuser begeben, um unsere online erworbenen Waren rauszusuchen, sie einzupacken und für den Transport fertig zu machen, während man sie zu jeder Zeit durch Kameraüberwachung im Auge behält.

Die Fronten auf beiden Seiten sind schon seit Wochen verhärtet und deswegen haben sich die deutschen Amazon-Arbeiter jetzt entschlossen ihren Kampf ins Zentrum der Macht zu tragen, nach Seattle, dem Hauptsitz des E-Commerce-Unternehmens. Dort haben die Arbeiter am Montag demonstriert. Sie hoffen, dass sich Sympathisanten von amerikanischer Seite ihrem Kampf anschließen werden. Die New York Times schieb in einem Artikel:

Oberflächlich betrachtet geht es um Geld. Die deutsche Gewerkschaft Ver.di will, dass die Arbeiter bei Amazon wie im Einzelhandel bezahlt werden, doch Amazon will seine Arbeiter weiterhin mit dem in der Logistikbranche üblichen niedrigeren Lohn bezahlen. Die weitaus bedeutendere Frage ist aber, ob die Lagerarbeiter bei Amazon die Kontrolle über ihre eigenen Arbeitsplätze haben sollen oder nicht. Amazons Lagerhäuser sind an Effizienz und Ingenieurskunst kaum zu übertreffen, aber die dort verrichtete Arbeit bleibt dennoch hart. Außerdem werden die Arbeiter ständig überwacht und die Jobsicherheit ist gering.

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In den letzten Jahren gab es eine ganze Reihe von Einblicken in das Innere des Unternehmens, die entweder von den Arbeitern selbst oder von investigativen Journalisten stammen, die sich heimlich in die sogenannten Logistikzentren einschlichen, um die dortigen Arbeitsbedingungen zu dokumentieren. Die Ergebnisse stimmen meist überein: Es handelt sich um kompromisslose, harte, physische Arbeit mit sehr wenig Flexibilität und ebenso geringer Gegenleistung. Die dortigen Arbeiter werden wortwörtlich wie Roboter behandelt.

Ein Amazonmitarbeiter hat die übermenschlichen und unrealistischen Erwartungen seitens der Manager in einem Brief an Gawker beschrieben: „Sie erwarten, dass man unglaublich schnell arbeitet. Ich war fit, als ich dort anfing, aber ich war nicht vorbereitet auf die vielen Kilometer, die ich jeden Tag auf Betonboden zurücklegen musste. Meine Füße taten mir so weh, dass ich wegen der Schmerzen nicht einschlafen konnte.“

Roboter jedoch brauchen selbstverständlich nie Pausen. „Man sagt zwar, dass man zwei fünfzehnminütige und eine halbstündige Pause kriegt, doch man darf den Arbeitsplatz nicht vor Anbruch der Pause verlassen. Wenn man aber allein vom Arbeitsplatz zum Pausenraum 5 Minuten braucht, dann kann man sich im Endeffekt nur zweimal für 5 und einmal für 20 Minuten hinsetzen, und das während eines zehnstündigen Arbeitstages.“

Andere Amazonmitarbeiter haben die nur 45-minütige Schulung, die jeder neue Mitarbeiter absolvieren muss, bemängelt. Du wirst nämlich hart bestraft, sobald etwas schiefgeht. Dagegen könnte ein Roboter alle Arbeitsinstruktionen innerhalb von Sekunden auf seiner Festplatte abspeichern. Viele Mitarbeiter beschwerten sich auch über die eiskalten Temperaturen in den Lagerhallen; Robotern ist es dagegen egal, ob sie frieren. Viele vergleichen die Lagerarbeit bei Amazon aufgrund ihrer kalten Effizienz und des käfigartigen Designs der Arbeitsumgebung mit Gefängnisarbeit—genauso könnte man das Aussehen dieser Logistikzentren aber auch mit einer Platine vergleichen.

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Ein von Amazon betriebenes Zappos Logistikzentrum, via Wikimedia.

In den Medien liest man zu diesem Thema Folgendes: „Verhandlungen würden die Effizienz und die Innovationsfähigkeit des Unternehmens verhindern,“ sagte Dave Clark, der weltweite Logistikchef des Unternehmens, der Time.

Es ist offensichtlich, dass die Amazonmitarbeiter schon seit Jahren wie Arbeiterdrohnen oder wie Roboter behandelt wurden. Der Begriff „Roboter“ ist eine Ableitung von „Robotnik“ und bedeutet „Arbeiter“ oder „Diener“. Dieser Begriff wurde bisweilen dafür benutzt, die Ausbeutung der Arbeiterkasse als Metapher greifbar zu machen. Die Vorstellung einer menschlichen Arbeiterdrohne ist verstörend und angsteinflößend zugleich—so auch Amazons triumphale Bekanntgabe der Ersetzung der eigenen menschlichen Arbeiter durch Maschinen und die Bekämpfung aller Arbeiteransprüche auf faire Behandlung.

Denn das ist doch genau das, was das Unternehmen tut. Das ist auch der Grund, warum die heutigen Protestierenden auf die Sympathie aus der Bevölkerung von Seattle hoffen. Vielleicht erscheint das Anliegen derzeit als besonders wichtig, weil die Deutsche Post bereits damit begonnen hat, Lieferdrohnen zu testen. Natürlich ist Amazon immer noch Jahre davon entfernt, Lieferdrohnen einzusetzen. Allein die Überwindung der gesetzlichen Hürden stellt eine Monsteraufgabe dar. Doch das Unternehmen arbeitet intensiv daran, die Schnittstelle zwischen Menschen und Robotern so kompatibel wie möglich auszugestalten. Obwohl Amazons Handlungen manchmal wie reine PR-Aktionen oder sogar wie Albernheiten erscheinen mögen, zielen diese doch auf eine logische Erweiterung des zukünftigen Spielraums des Unternehmens.

Natürlich wünscht sich Amazon, seine Belegschaft mit echten Drohnen zu ersetzen—welches profitorientierte Unternehmen würde das nicht? Aber die Tatsache, dass dieser Robotertraum bereits jetzt in Reichweite ist, sollte uns alle dazu veranlassen, gründlich darüber nachzudenken, wie unser Verhältnis zur Arbeit in einer mechanisierten Welt des kommerziellen Konsums aussehen wird.